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Casinostadt in der Krise


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Casinostadt in der Krise

"Sin City stirbt"

Von Stefan Schultz, Atlantic City

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Atlantic City galt als Geldmaschine, als Las Vegas der US-Ostküste. Jetzt stehen die Casinos leer, teure Bauprojekte ragen unfertig in den Himmel. Die Stadt ist gepflastert mit Werbeplakaten, die den Glamour alter Tage zeigen - ihre Bewohner aber erwachen gerade aus dem amerikanischen Traum.

Neulich kam der Wind und riss wieder ein Stück Hoffnung mit sich fort. Verspiegelte Platten lösten sich aus der Fassade des fast fertigen Revel-Gebäudes. Sie fielen vom Himmel und zerschepperten am Boden, Igor Cherenyavksy fast vor die Füße. "Ich konnte gerade noch ausweichen", erinnert er sich. "Es war, als würde ein Stück der Stadt in sich zusammenfallen."

Verletzte gab es nicht, doch der Wolkenkratzer war ruiniert. Drei Monate klafften schwarze Löcher an seiner Außenhaut. Cherenyavksy steht vor seinem Schmuckgeschäft, dem Florida Pacific Jewlery nahe des Zentrums von Atlantic City. Er blickt hinüber zum Revel. "Kaum zu glauben", sagt er. "Da will eine Firma einen Palast mit fast 2000 Hotelzimmern bauen, und dann hat sie nicht mal das Geld, die Fassade zu reparieren."

Schließlich wurde der Schaden behoben, doch nur wenig später ging den Bauherren erneut das Geld aus. Revel-Chef Kevin DeSanctis sucht Investoren, bislang erfolglos. Sogar bei der chinesischen Regierung soll er angefragt haben. Wie der Wolkenkratzer je fertiggestellt werden soll, weiß derzeit niemand.

Der Zustand des Revel entspricht dem der ganzen Stadt. Vieles verweilt im Halbfertigen, im Ungefähren. Investoren werden scheu, Jobs gehen verloren. Die Arbeitslosenquote ist auf zwölf Prozent geschnellt. Immer mehr Menschen kehren der Stadt den Rücken. Jedes vierte Haus steht laut "Economist" inzwischen leer. An Atlantic City, der berühmten Casinostadt im US-Bundesstaat New Jersey, zeigt sich, wie die Wirtschaftskrise die Gesellschaft verändert. Viele Menschen, die hier leben, erwachen gerade aus dem amerikanischen Traum.

Cherenyavsky schließt seinen Laden ab und schleppt sich durch menschenleere Straßen, an eingeschlagenen Fenstern vorbei, an Geschäften, deren Eingänge verrammelt sind, an den Schattenrissen halbnackter Frauen in den Fenstern der Stripbars. Irgendwann steht er vor seinem Auto. Er wohnt in einem Vorort. "Meine Kinder sollen auf eine anständige Schule gehen", sagt er, schließt den Wagen auf und steigt ein.

"Sin City stirbt"

Atlantic City, ursprünglich ein bescheidenes Seebad an Amerikas Ostküste, trägt für die meisten einen anderen Namen: Sin City, Stadt der Sünde. In den zwanziger Jahren verwandelte die Mafia den Küstenort in ein Dorado der Drogen und Dekadenz. Später inspirierte die Stadt Franz Miller zu seinen "Sin City"-Comics und Robert Rodriguez zu seinem "Sin City"-Film. Seit einigen Wochen widmet ihr der Fernsehsender HBO die Serie "Boardwalk Empire".

Jetzt ist die Stadt mit Werbeplakaten für "Boardwalk Empire" gepflastert. Es sind Hochglanzbilder, die in der Erinnerung an rauschende Feste schwelgen: Voluminöse Kronleuchter. Perlenverhangene Dekolletés. Eine Frau mit Rosenblättern an den Dessous, die einer von Wunderkerzen erleuchteten Torte entsteigt.

Es ist eine Welt, die nur noch im Film existiert. Unwirklich ragen die Bilder goldener Zeiten in die Gegenwart. Die Stadt ist wie eine gealterte Ballerina, die die Tage immer öfter mit sich selbst verbringt, während die Welt sie langsam vergisst. "Sin City stirbt", sagte New Jerseys Gouverneur Chris Christie kürzlich.

Wie ein Flughafen sich in Luft auflöste

Wenige Autominuten vom Zentrum entfernt liegt der Landstrich Bader Field, ein grünes Feld, vor dem sich die Skyline Atlantic Citys erhebt. Im Casinoboom landeten hier die "Fliegenden Limousinen", Charter-Flieger, die New Yorks Neureiche für Wochenendtrips in die Stadt einflogen.

Dann machte der Flughafen dicht - und die Hüter von Atlantic City schrieben die Entwicklungsrechte für Bader Field neu aus. Die Stadt hatte große Pläne: Ein moderner Airport war im Gespräch, ein Tourismuszentrum, ein zwölftes Casino. Bis zu eine Milliarde Dollar Erlös erhoffte man sich. Nun wachsen Brennnesseln auf Bader Field, und manche fordern, die Stadt solle das Land zum Dumpingpreis verkaufen.

Sin City braucht dringend Geld. Die Haupteinnahmequelle der Stadt, die Casinomeile, wirft immer weniger Profit ab: Seit Pennsylvania, New York und Massachusetts sich ihre eigenen Casinos bauen, bleiben die Spieler fern. 2010 fielen Atlantic Citys Casinoumsätze um knapp zehn Prozent auf 3,6 Milliarden Dollar, berichtet die Casino Control Commission.

Der Wildwestflügel des Trump-Casinos wirkt wie die Kulisse einer Geisterstadt. Die Roulettetische sind leer, die Automaten verwaist. Anthony Coscia schlurft über den Teppich mit Sheriffsternmuster, vorbei an Saloon-Attrappen, er setzt sich in die Raucher-Lounge.

Er sagt, dass er früher Immobilienmakler war, bis er durch einen Autounfall einen Großteil seiner Sehfähigkeit einbüßte. Dass er als Entschädigung einige Hunderttausend Dollar bekam, auf Pferde wettete und irgendwann zu pokern begann. "Ich wollte reich werden und mich mit meiner Familie zur Ruhe setzen", sagt er. Als er alles verloren hatte, verließ ihn seine Frau.

"Das Glücksspiel programmiert dein Gehirn um", sagt Coscia. "Wenn du verlierst, glaubst du, dein System war falsch. Du musst es bloß ändern, dann gewinnst du."

Das Glücksspiel hat nicht nur Coscia umprogrammiert. Die ganze Stadt ist süchtig geworden nach dem großen Geld, das sich mit Blackjack und Slot Machines verdienen lässt. "Lokalpolitiker übergaben die Stadt an die Casinochefs, seit den Achtzigern waren sie die eigentlichen Stadtplaner", schreibt der Historiker Bryant Simon in seinem Buch "Boardwalk of Dreams: Atlantic City and the Fate of Urban America".

Doch die Casinos saugten der City das Leben aus. Im Zentrum schlossen die Geschäfte und machten in den Glücksspielpalästen wieder auf. In den uhrenlosen Räumen vergaßen die Touristen die Zeit. In manchen Hotels war es verboten, Prospekte mit Sehenswürdigkeiten auszulegen, Besucher sollten die Casions möglichst selten verlassen.

Atlantic City veränderte sich völlig. "Die Stadt zerfiel in Habende und Habenichtse", schreibt die Lokaljournalistin Dana Rubinstein im "New York Observer". Die Habenden, das waren die Casinobosse. Die Habenichtse: alle anderen. Immer abhängiger wurde die Stadt von den Casinos - jetzt rächt sich das.

"Ich fahre nicht mehr in manche Viertel", sagt Glen Godds, ein Taxifahrer. Man werde dort zu oft überfallen. Die Stadt hat für ihn jeden Glamour verloren - und ihren Namen. "Shit City, nicht Sin City", sagt Godds.

"Mach dich schön, steck' die Haare hoch"

Nach Menschen, die noch hoffen, muss man in Atlantic City lange suchen. Doch es gibt sie, die Optimisten, die der Stadt eine große Zukunft prophezeien. Jeffrey Vasser, der Präsident des lokalen Kongresszentrums, ist einer von ihnen. Er wurde in Atlantic City geboren, ging hier zum College. Auf dem Schreibtisch in seinem Büro liegen Autoaufkleber mit den Initialen A.C..

"Alle wissen: Casinos reichen nicht mehr", sagt er. "Wir müssen den Leuten was Neues bieten." Die Stadt müsse sich neue Einnahmequellen suchen, und erstmals seit Jahrzehnten sieht Vasser dafür die Chance. "Geschäftsleute, Politiker und Casinobesitzer schmieden eine Allianz, um die Stadt neu zu erfinden", sagt er. "Das gab's noch nie." Bislang hätten die Glücksspielbosse den Aufbau neuer Wirtschaftszweige stets boykottiert.

Jetzt will Bürgermeister Lorenzo Langford einen Entertainment-Komplex mit Kinos, Museen, Bowling- und Rollschuhbahnen bauen - als Attraktion für Familien. Und es soll Restaurantwochen, Flugshows und Eishockey- und Basketballspiele geben, damit die Touristen auch außerhalb der Sommersaison kommen. Und Vasser versucht, die Hotels mit Kongressbesuchern zu füllen.

Bislang mit bescheidenem Erfolg: Die Buchungen sind im vergangenen Jahr nur leicht gestiegen. Doch Vasser ist voller Zuversicht, dass sich das bald ändert. "Die Stadt kommt wieder auf die Beine", verspricht er. Sie habe es bislang noch jedes Mal geschafft.

Im Jahr 1982 hat Bruce Springsteen in einem Song das gleiche gesagt: "Alles stirbt, Baby, das ist mal klar. Aber vielleicht kommt alles irgendwann wieder zurück. Mach dich schön, steck' die Haare hoch, und du siehst mich heute Abend in Atlantic City."

Info: SPON

Foto : Inês Henriques Fraga

bearbeitet von Fritzl
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Gut ausgewählt Fritzl!

Interessanter und knallharter Bericht. Klare Sätze.

Ich war noch nicht in Atlantic City, außer über Google Map...

Dennoch kommt in mir ein bedauerndes Gefühl hoch.

Hoffen wir, dass es nicht eines Tages auch Las Vegas erwischt.

Denn das Familien-Programm, dass Bürgermeister Lorenzo Langford als neue Idee sieht, ist in Vegas schon nicht mehr der heiße Tipp.

Gruß

Psi

bearbeitet von PsiPlayer
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Ich war ein paar Mal dort und, obwohl es mir eigentlich gefällt,

hatte ich immer das Gefühl, dass es einen Riesenabstand zu Las Vegas gibt.

Alles ist um mehrere Nummern kleiner. Sogar die BJ Bedingungen sind schlechter.

Ein Riesennachteil ist z.B., dass es einen unfreundlichen Winter gibt.

Nun mögen manche Leute den Winter an der See aber eben nur wenige.

Das Besondere und Einmalige an A.C. ist natürlich der Boardwalk.

Das ist ein bis zu 20m breiter und mehrere km langer Weg auf Stützen und mit Holzbeplankung.

Berühmt wurde er durch "The Drifters" und ihren Song: "Under The Boardwalk" von 1964.

Der Boardwalk läuft teilweise über den Strand oder parallel dazu.

Einige Seebrücken(2?) ragen in den Atlantischen Ozean.

An ihm liegen die meisten Casinos und die Town Hall, wo ich einmal die Wahl der Miss America erlebt habe.

Außerdem sind noch 3 oder 4 Casinos in der Marina.

Der Anfang vom Ende waren vermutlich die Eröffnungen der Indianercasinos "Foxwood" und "Mohegan Sun".

Diese sind nur 1,5 oder 2,5(weiß nicht genau) Autostunden nördlich von New York leichter zu erreichen als A.C.

Naja, die werden das schon überstehen - müssen eben noch kleinere Brötchen backen.

Reno/Nevada hatte ein ähnliches Schicksal und lebt immer noch.

sachse

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